Neue Ideen für Brass for Peace – wir geben nicht auf!

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Carolin Modersohn ist seit Kriegsbeginn die einzige „richtige“ Mitarbeitern die wir noch in der Region Bethlehem haben. Sie berichtet: 

Als ich damals in meiner deutschen Heimat im Posaunenchor mitgewirkt habe, wurde ich irgendwann gefragt, ob ich bei der Jungbläserausbildung helfen könnte, na klar ich habe das gerne gemacht. Es hat mir Spaß gemacht, mich irgendwie erfüllt und gleichzeitig habe ich viel gelernt. Ich war jung, habe mir nicht allzu viele Gedanken gemacht und einfach mal „drauf los“ gelegt. Das meiste, was ich beim Unterrichten tat war also meiner Intuition und der Gruppendynamik zu folgen. Schritt für Schritt ging es vorwärts, manchmal auch wieder zurück. Ich ließ mich nicht demotivieren, im Gegenteil wuchs ich an meinen Aufgaben. Machte dann auch irgendwann einen Chorleiterkurs… So oder ähnlich wird es wohl in vielen Posaunenchören sein oder gewesen sein.

Bei uns im Land (Israel/Palästina) herrscht leider weiterhin Ausnahmezustand. Aufgrund des anhaltenden Krieges zwischen dem Gazastreifen und Israel können wir keine Volontäre ins Land bekommen und mal ganz ehrlich, wäre ich ein junger Mensch, der gerade seinen Schulabschluss gemacht hätte, würde ich jetzt auch nicht ein Jahr in Palästina leben wollen. Es wäre mir zu gefährlich, weil ich die Risiken nicht einschätzen könnte und die Gesamtsituation einfach zu komplex und unvorhersehbar ist. Wir bei Brass for Peace planen momentan nichts, in der arabischen Kultur sind sowieso alle Pläne mit einem Inshallah unterlegt – so Gott will und wir noch leben und gesund sind werden wir nächste Woche proben. Wenn sich die Situation aber verschärft oder sich sonst irgendwas ändern sollte, dann werden wir die Proben für ungewisse Zeit ausfallen lassen. Dahinter steckt auch eine moralische Frage, über die ich schon einige Male mit Einheimischen diskutiert habe: ist es okay zu Proben, Musik zu machen, dabei Freude zu empfinden und zu verbreiten wo doch weniger als 100 km entfernt Palästinenser tagtäglich ums blanke Überleben kämpfen? Können und dürfen wir das?

Die Antwort darauf lautet für mich ganz klar ja, denn ich merke, wie gut es den Schülern tut, sich einfach auf das Musizieren zu konzentrieren und alle anderen Dinge für den Moment auszublenden. Ein Stückchen weit ist der Krieg auch zu einer Situation geworden, an die sich alle gewöhnt haben, aber Frust über die Einschränkungen, die das mit sich bringt, das zweite Jahr in Folge an dem keine Christmas Tree Lightning stattfinden, keine Weihnachtsfeier gefeiert und keine Partys veranstaltet werden, gibt es natürlich trotzdem. Gerade letzte Woche haben wir über vergangene Weihnachtsfeiern und Konzerte gesprochen und dabei kam auch die Frage auf, warum wir das dieses Jahr nicht machen… Natürlich gibt es dafür Verständnis, aber trotzdem ist es schwierig für die Kinder und Jugendlichen das zu akzeptieren. Warum müssen wir das ausbaden? Warum dürfen wir nicht einfach unseren Alltag normal weiterleben? Werden wir nicht quasi von der Gesellschaft vor Ort zum stillen Mitleiden gezwungen? Wir wurden doch gar nicht gefragt, ob wir das wollen oder nicht…

Trotz alledem soll es für Brass for Peace weitergehen und dafür haben wir jetzt drei Jugendliche gefragt, ob sie mit der Ausbildung neuer Anfänger beginnen wollen und sind vor ein paar Wochen durchgestartet. Das Schöne ist, dass die neuen Kinder motiviert bei der Sache sind und quasi jede Woche noch einen Freud oder eine Freundin mitbringen. Unseren Ausbildern ist es anzumerken, dass ihnen das Unterrichten Freude bereitet. Sie helfen sich gegenseitig und unterstützen sich, wenn sie alleine nicht weiterwissen. Dieser Schüler bekommt keinen Ton aus dem Mundstück oder ein anderer versteht nicht, wie er seinen Atem richtig einsetzen soll. Wenn Nairouz keine Idee mehr hat, wie sie dem Schüler helfen kann, fragt sie Malak oder Issa, die die Jungbläsergruppe mit ihr zusammen ausbilden. Eine Herausforderung für die Schüler und Ausbilder ist das Noten lesen lernen, Malak meinte, dass sie, wenn sie es beibringt, noch ganz genau die Worte und Bilder im Kopf hat die ihr unsere ehemalige Volontärin Karin gegeben hat. Malak sagte: „Für mich war das ganz einfach ich habe sofort verstanden wie ich die Noten lesen muss und Karin hat mir immer tolle Eselsbrücken gegeben, aber wenn ich es den Kindern beibringen soll, verstehe ich manchmal nicht warum sie etwas nicht auf anhieb verstehen oder mehrere Wiederholungen brauchen.“

Es ist für uns ein wahrer Segen, das Malak, Nairouz und Issa die Jungbläserausbildung übernommen haben, denn ich selbst hätte dafür keine Zeit. Doch ohne neue Anfänger wird es das ganze Projekt irgendwann leider nicht mehr geben. Wir können nur einen Bruchteil der Arbeit machen, die sonst ein oder zwei Volontäre machen würden. Und jetzt sind unsere Schüler in der Situation, in der ich früher auch mal war. Ich versuche ihnen jede Woche ein paar Inputs zu geben und Dinge gemeinsam vorzubereiten, doch der Unterricht selbst, die Verantwortung, die Stundenplanung und das Organisatorische gehört den drei Jugendlichen. Ich finde es toll, dass sie dazu bereit, sind diese Verantwortung zu tragen und unser Projekt so weiterhin mit am Laufen halten. Außerdem werden sie im Januar zu einem Chorleiterkurs nach Deutschland fahren und dort viele neue Dinge lernen, die sie hoffentlich weiterhin in ihrem Unterricht einbringen und weiterbringen wird.

 

Carolin Modersohn war 2015/2016 Volontärin bei Brass for Peace. Seit 2018 unterrichtet sie in Teilzeit und arbeitet als Koordinatorin von Brass for Peace. Sie lebt mit ihrer Familie in Jerusalem.

Bild 1: Carolin mit ihrer Gruppe, Bild 2: v.l.n.r Nairouz, Issa, Malak; Bild 3: Malak mit der Anfängergruppe